11/05/2017

Nach "Anmut hat Gelingen"

Nach "Anmut hat Gelingen"
kunstraumlangenlois p.p.
© Michael Part, Constanze Schweiger, 2017

Die Ausstellung “Nach ‘Anmut hat Gelingen’” ¹ ² setzt sich aus fünf tafelbildartigen Skulpturen und einer Reihe von textilen Gefässen zusammen. Die Tafeln an den Wänden auf der einen Seite fassen Formen von Stoffstücken ³, die in Gips abgegossen und nach dem Aushärten entfernt wurden und in denen einige Fasern der Textilien mit ihren Farben und Musterungen ⁴ zurückblieben. Auf der anderen Seite, aufgereiht vor der Wand liegen die Gefäße ⁵, die später aus den Stoffstücken erstellt wurden. Sie zeigen Ausschnitte der Stoffmusterungen, gestrafft und fixiert durch den Gips, den sie beinhalten.

¹ Das Zitat “Anmut hat Gelingen” stammt aus dem 22. Zeichen “Bi” der chinesischen Textsammlung “I Ging”. 

² Mit "Anmut hat Gelingen” beginnt ein Künstlertext von Constanze Schweiger, der 2012 auf constanzeschweiger.blogspot.com publiziert wurde. Dieser Text erzählt die Anekdote der Entstehung der “Batiksocken” von Michael Part. Der Text war 2015 Anlass für eine Kooperation: Ein Scan der ursprünglichen Batiksocken ist in die Typografie platziert und in ein Billboard umgesetzt.

³ Der Anekdote zu den Batiksocken folgend sind Stücke von Baumwollstoff mit Natriumdithionit behandelt worden. Diese Substanz ist ein starkes Reduktionsmittel, in der Fotografie wird sie als eine nur zum Teil praxistaugliche Entwicklersubstanz für den Silbergelatine-Prozess eingesetzt. Sie ist allerdings sehr gebräuchlich in der Umkehrentwicklung und auch bei der Extraktion von gelöstem Silber im verbrauchten Fixierbad. Der gegenwärtige industrielle Einsatz von Natriumdithionit findet hauptsächlich bei der Produktion von Entfärbemittel für Textilien statt.

⁴ Die Stoffstücke stammen aus einer Testreihe zur entfärbenden Wirkung von Natriumdithionit. Gewickelt und verknotet, mit der Substanz behandelt, entstanden batikartige Musterungen, die im Gegensatz zum Batik-Verfahren nicht gefärbt sondern entfärbt sind.

⁵ Für die Produktion der Gefäße sind die Stoffstücke horizontal geviertelt. Um jedes Gefäß seinem zugehörigen Abguss zuordnen zu können, wurden sie mit eingenähten Indexes versehen.

5/27/2017

Kurkuma convey. Our limbs leave invisible pollen on the pages

Our limbs leave invisible pollen on the pages

Exhibition text Constanze Schweiger
Kurkuma, convey. Our limbs leave invisible pollen on the pages
May 12 – May 26, 2017
Kunstverein New Jörg, Vienna

„The night The Book of Bean opened in New York was the night of the blackout. Remember? It happened two hours before things were going to begin.“ recalls Alison Knowles in an interview with George Quasha. One night in July 1977, in the middle of a bitter heat wave, when the city was facing a severe financial crisis, electric power failed all over New York City. Looting, vandalism and arson were rampantly taking place until late in the following day. The whole city was in a state of dissolution and pervasion. On the evening of that dark night, Allison Knowles released one of her book sculptures; a book in the size of a very small house, with ultralarge moveable pages. You could walk around the sculpture, step or leave through its pages, and spend some time in the different spaces created between the pages.
  The impulse to make Untitled (convey Regular, convey Regular Italic) came last year in March from Gabriele Lenz who designed the typeface convey. In order to have material to print with her typeface on 10 meters of sateen, I produced text made of observations and ideas on reading materials by Alison Knowles, Gertrude Stein, Friederike Mayröcker, Yoko Ono, Tavi Gevinson, Hannah Black, in which the writers discuss the processes of reading, writing and publishing. In the meantime the design for the sculpture is ready for production. Another type but equally long panel of cotton cloth was dyed with turmeric and hanged up to dry in the exhibition space. Until the end of the show, by exposure to sunlight the dyed cloth will change its color. When the text is printed on fabric and the work is delivered to the exhibition space, it will be installed next to this other fabric dyed with turmeric. After the show Untitled (convey Regular, convey Regular Italic) will be cut up into pieces in order to produce objects that can be used differently, as for example tote bags into which you can put anything such as books you want to carry with you.
  Since March 2016 many things have happened and clearly some things feel different. Here around me and out in the world critical changes are taking place which are not completed yet and which are affecting me continuously. During reading for this exhibition text, I come across a sentence from a version of the interview with Alison Knowles and George Quasha which is missing in the copy I hold. In this sentence Quasha means that we would leave marks with our bodies, „invisible pollen on the pages“ for those who come after.
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„The night The Book of Bean opened in New York was the night of the blackout. Remember? It happened two hours before things were going to begin.“ erinnert sich Alison Knowles in einem Interview mit George Quasha. In einer Nacht im Juli 1977, während einer Hitzewelle, in einem Moment in dem sich für New York City eine schwere Wirtschaftskrise abzeichnete, fiel überall in der Stadt der Strom aus. Bis in den nächsten Tag hinein wurde geplündert, randaliert und Feuer gelegt. Die ganze Stadt befand sich in einem Zustand von Auflösung und Durchdringung. Am Abend dieser Nacht also veröffentlichte Allison Knowles eine ihrer Buchskulpturen; ein Buch so groß wie ein sehr kleines Haus mit übermenschengroßen Seiten, um die man gehen, sie bewegen, durch sie hindurch steigen und zwischen denen man Zeit verbringen konnte. 
  Der Anstoß zu Untitled (convey Regular, convey Regular Italic) kam im März vergangenen Jahres von Gabriele Lenz, der Gestalterin der Schrift convey. Um 10 Meter Baumwollstoff mit der convey zu bedrucken, sind sechs Texte entstanden, in denen ich Ideen zu den Vorgängen Lesen, Schreiben und Veröffentlichen von Alison Knowles, Gertrude Stein, Friedericke Mayröcker, Yoko Ono, Tavi Gevinson und Hannah Black aus verschiedenen Lesequellen nacherzähle. Der Entwurf dazu ist für die Produktion fertiggestellt und eine andere, gleich lange Stoffbahn ist mit Kurkuma gefärbt und im Ausstellungsraum zum Trocknen aufgehängt. Dort wird der gefärbte Stoff bis zum Ende der Ausstellung über die Einwirkung von Sonnenlicht seine Farbe verändern. Wenn die Texte dann auf die zehn Meter Baumwollsatin gedruckt sind und die Arbeit an den Ausstellungsraum geliefert wurde, wird die Stoffbahn neben den gefärbten Stoff installiert, um nach der Ausstellung in Stücke geschnitten zu werden und um später anders verwendbare Objekte daraus zu produzieren, wie zum Beispiel Taschen, in die man alles mögliche oder einfach Bücher hineintun und mit sich tragen kann. 
  Seit März 2016 ist einiges passiert und manches fühlt sich deutlich anders an. Hier um mich und in der Welt finden kritische Veränderungen statt, die noch nicht abgeschlossen sind und mich laufend beeinflussen. Beim Lesen für diesen Ausstellungstext finde ich einen Satz im Interview von Alison Knowles und George Quasha, der in der Fassung fehlt, die ich besitze. In dem Satz meint Quasha, wir alle würden mit unseren Körpern Spuren hinterlassen, unsichtbare Pollen auf den Seiten für die, die danach kommen.

2/26/2017

1984 Friederike Mayröcker

Wenn ich mich frage, was ich da mache, finde ich es komisch, wie eben diese Fixierpunkte in einer Reihe gesehen am Ende durcheinander wirken. Zwischen Tastatur und Magen lese ich bei Friederike Mayröcker, "Diese elliptischen Gespräche sind eine Bodenfalte in die einer fällt". Wenn er geht und dabei spricht, um sich daran zu erinnern, an das Gehen und was gesprochen wurde, um danach zu greifen – "oberhalb seines Kopfes das fadenziehende Licht greift" – dann ist das Fallen, Straucheln wie ein Prädikat. "Man muss damit nicht nur lange gehen, sondern sich mit diesem Stück Poesie lange auseinandersetzen, wenn man es geschrieben hat, man muss lange korrigieren, feilen, Korrekturen von Korrekturen machen, aber vor allem muss man sehr geduldig sein : so ein Stück Text arbeitet ja nach der Fertigstellung weiter[…]" Man muss es ganz für sich allein lassen, es liegen lassen, wie Teigmasse gehen lassen, meint sie. Sie versucht visuelle Wahrnehmungserfahrungen und ihre direkte oder indirekte Umsetzung in Sprache zu veranschaulichen. Demnach fantasiert sie etwas Bildliches und denkt dazu etwas Sprachliches, das sie später mehrmals umformt und im Verlauf mit der Maschine fixiert. Ich lese also Friederike Mayröcker zwischen Tastatur und Magen, dazwischen beuge ich mich über das Buch, um einen Satz zu fixieren. Ich lese den Satz oder einen Teil aus dem Text, lese teilweise laut, dann ändere ich was ich festhalte ein wenig und lese wieder oder ich suche den Punkt im Text, den ich während dem Fixieren gelassen habe.

Seit 1984 versammelte Friederike Mayröcker zusammen mit dem Suhrkamp Verlag alle drei bis vier Jahre eine Auswahl an kurzen Prosatexten zu den Gründen des Schreibens und des Lebens in der Reihe der Magischen Blätter.

Friederike Mayröcker, Magische Blätter I, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1984

2/23/2017

1966 Alison Knowles

The Big Book von Alison Knowles war genau das: ein Buch. Nur war es etwa so groß wie ein sehr kleines Haus. Dieses Buch bestand also aus acht sehr großen, über Scharniere miteinander verbundenen Seiten, um die man gehen, sie bewegen, durch sie hindurch steigen und zwischen denen man Zeit verbringen konnte. Es befanden sich dort diverse nützliche Dinge und Annehmlichkeiten wie elektrisches Licht, ein Herd, auf dem man Kaffee kochen konnte, eine Toilette, ein Telefon, ein Fenster, das sich öffnen und schliessen ließ, ein Stück Wiese, eine Bibliothek oder ein Gästebuch. An einer bestimmten Stelle auf einer der Seiten konnte man „Enter“ lesen, auf einer anderen „Smoking Permitted in This Area Only“. Sonst aber waren die verschiedenen Texturen der diversen Oberflächen aus denen sich alles zusammensetzte der eigentliche Text im Buch. Weil The Big Book so konstruiert war, dass man es leicht in zwei Holzkisten verpacken konnte, wurde es 1966 in New York von Something Else Press veröffentlicht und innerhalb von drei Jahren an mehreren Orten in der Welt ausgestellt. Mit jedem Mal, mit jedem Ortswechsel, mit jeder Berührung löste sich etwas von dem sehr großen Buch bis es schliesslich nicht mehr von alleine aufgerichtet im Raum stehen konnte.

The Big Book by Alison Knowles is an expansive book sculpture, which got published as a regular book release in 1966 by Something Else Press, an early New York publisher of concrete poetry and other works by Fluxus artists.

Alison Knowles, The Big Book, New York: Something Else Press, 1966